Das Stundengebet wird heute von allen Seiten neu entdeckt.
Wie ein Gruß aus vergangenen Jahrhunderten rufen vielerorts die Kirchenglocken regelmäßig zum Gebet. In vielen katholischen Gemeinden lernen Menschen das Stundengebet neu zu schätzen, um Gottesdienst auch ohne Priester feiern zu können. Auch auf evangelischer Seite wird in Tagungshäusern und auf Freizeiten, aber auch in einigen Gemeinden und Citykirchen das Stundengebet wiederentdeckt. Gerade die vielen leerstehenden und verschlossenen Kirchen könnten wieder ihren Sinn erfüllen, wenn Gruppen von Gläubigen sie durch hierarchiefreies Stundengebet mit Leben füllen. So wird heute in beiden großen Konfessionen diese alte Form des Gottesdiensts auch außerhalb der Klöster neu etabliert. Das Ökumenische Stundengebet möchte all diese Bemühungen unterstützen. Und es möchte dies von vornherein auf ökumenisch kompatiblen Bahnen tun.
Im Stundengebet ist die Verschiedenheit versöhnt.
Die aus der reformatorischen und die aus der römischen Tradition hervorgegangenen Kirchen pflegen im Stundengebet die gleiche Überlieferung: Sie folgen einer gemeinsam Struktur, kennen die gleichen Elemente und schöpfen aus demselben Schatz an Hymnen oder Psalmen. Dabei gibt es natürlich auch Eigenheiten, in denen sich das konfessionelle Profil einer jeden Kirchen zeigt. Diese haben aber keinen trennenden Charakter. Wer in der einen Tradition zuhause ist, kann auch an der anderen aktiv teilnehmen. Ökumenisches Stundengebet heißt: den gemeinsamen Rahmen auf eigene Art füllen, die Schätze der anderen kennenlernen – und dann aus dem Vollen schöpfen.
Im Stundengebet genießen wir volle Gottesdienstgemeinschaft.
Das ist nicht selbstverständlich, aber eine große Chance. Denn obwohl das Stundengebet – neben dem Jahreskreis mit seinen Festen und der Woche mit dem Herrentag – zu den grundlegenden Zyklen kirchlicher Liturgie zählt, ist es von den Kontroversen um das Amt und die Eucharistie nicht betroffen. Allein durch die Taufe sind alle Christinnen und Christen zu diesem Dienst beauftragt. Auf dieser Basis ist vieles möglich: gegenseitige liturgische Gastfreundschaft, die volle Teilnahme an allen rituellen Vollzügen, die Übernahme liturgischer Dienste und sogar die gemeinsame Leitung.
Das Stundengebet erfüllt den zentralen Auftrag der Kirche.
Wenn wir mit vereinten Stimmen den Lobpreis Gottes singen, dann verbinden wir uns – wie in der Eucharistie – mit den „Chören des Himmels“ und nehmen das Ziel der Heilsgeschichte, die erhoffte Vereinigung der ganzen Menschheitsfamilie in der Liebe Gottes vorweg. Wo das geschieht, ist die Kirche lebendig. Wenn wir miteinander Fürsprache für die Welt halten, dann erfüllen wir damit – wie in der Eucharistie – den priesterlichen Dienst Christi als sein Leib. Wenn Christen dies miteinander tun, wird die Einheit der Kirche real. Ökumenisches Stundengebet heißt: Heute schon gemeinsam Kirche, gemeinsam Leib Christi sein.
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